Zunächst: Was ist denn ein Atominterferometer?
Dorothee Tell: Interferometer werden in der Physik dort eingesetzt, wo besonders genau gemessen werden soll, insbesondere wenn es um sehr genaue Positionsmessungen geht. Recht verbreitet sind zum Beispiel Laserinterferometer, bei denen ein Laserstrahl aufgespalten, über zwei unterschiedliche Wege gelenkt und schließlich wieder zusammengeführt wird. Wenn sie unterschiedlich lange Wege zurückgelegt haben, entstehen beim Zusammenführen der Laserwellen Überlagerungen, so genannte Interferenzen. Und die können exakt gemessen werden. Laserinterferometer sind damit geeignet, extrem genaue Längenänderungen zu bestimmen – wie das etwa auch für die Detektion von Gravitationswellen eingesetzt wird.
Atominterferometer beruhen auf einem ähnlichen Prinzip. Allerdings sind es hier nicht die Laserwellen, die interferieren, sondern Materiewellen. Wir machen uns die Quanteneigenschaft von Atomen zunutze, wonach sie sowohl als Teilchen als auch als Wellen beschrieben werden können.
Wie läuft das beim VLBAI?
Tell: Beim VLBAI kühlen wir Atome in einem Vakuum knapp über den absoluten Nullpunkt ab, sodass wir eine Art Atomwolke erhalten, in der die ultrakalten Atome nahezu unbeweglich sind und an Ort und Stelle bleiben. Die Atomwolke lassen wir dann in einer Vakuumröhre fallen. Wie sich die Atome bewegen geben dann die äußeren Kräfte vor. Im Idealfall wirkt nur noch die Gravitationsbeschleunigung, also die Anziehungskraft durch die Erde, sodass die Atome ungestört durch andere Einflüsse in der Röhre nach unten fallen. Mit dem Atominterferometer messen wir exakt, wo sich die Atome zu welchem Zeitpunkt befinden und können daraus die Gravitationsbeschleunigung bestimmen.
Im Idealfall?
Tell: Äußere Kräfte können auf die Atomwolke einwirken und den freien Fall oder die Positionsmessung beeinflussen, etwa Vibrationen oder Magnetfelder. Wir betreiben beim VLBAI einen großen Aufwand, um auch kleinste Störgrößen auszuschließen oder aus den Messungen herauszurechnen.
Warum ist es so wichtig, das Schwerefeld der Erde zu messen, noch dazu mit so großer Genauigkeit?
Tell: Weil wir damit verstehen, wie unsere Erde aufgebaut ist. Wir können so bestimmen, wie die Masseverteilung der Erde ist. Dass die Anziehungskraft auf dem Mond eine andere ist, als auf der Erde, ist bekannt. Aber auch auf der Erde ist sie nicht überall gleich. Auf einem Berg ist sie etwas kleiner als im Tal, weil die Entfernung zum Zentrum der Masse, also zum Erdmittelpunkt, größer ist. Über einer unterirdischen Höhle ist der Wert etwas niedriger als über massivem Gestein, weil die Masse etwas kleiner ist. Mit Gravimetern lassen sich diese Unterschiede messen. Und mit wiederholten Messungen können wir bestimmen, wie sich der Wert über die Zeit verändert und damit Rückschlüsse auf Masseveränderungen ziehen. So können beispielsweise Änderungen des Grundwasserspiegels bestimmt werden, weil sich dabei eben Massen bewegen. Das können wichtige Parameter klimarelevanter Prozesse sein, wie sie etwa im Sonderforschungsbereich TerraQ erforscht werden. Je genauer wir messen, desto präziser können wir diese Prozesse beschreiben.
Mit der Atomfontäne kann man dann aber nur Masseveränderungen unter dem HITec bestimmen.
Tell: Das ist richtig. Für Messkampagnen im Gelände benötigt man mobile Geräte. Das Very Long Baseline Atom Interferometer steht dort nicht, weil Hannover geodätisch so interessant wäre, sondern weil es ein Prototyp an einer Universität ist. Mit dem VLBAI verfolgen wir ein anderes Ziel. Klassische Gravimeter müssen regelmäßig kalibriert werden, um zu bestimmen, wie Störfaktoren die Messungen beeinflussen. Das ist ein aufwändiges Verfahren bei dem zahlreiche Gravimeter an einen geeigneten Ort gebracht werden – etwa eine abgelegene Höhle, um Störfaktoren möglichst auszuschließen – dort gleichzeitig laufen gelassen werden, um aus all diesen Messungen einen Referenzwert zu ermitteln. Unser ultimatives Ziel ist es, diese großen Vergleichskampagnen überflüssig zu machen.
Dazu planen wir das VLBAI zu einer übergeordneten Referenzstation für Gravimeter ausbauen. Dafür müssen wir die Genauigkeit noch weiter erhöhen – und die hängt von der Länge der Freifallstrecke ab. Je länger die Atomwolke im freien Fall ist, desto höher ist die Sensitivität. Im VLBAI beträgt die Freifallstrecke etwa zehn Meter. In dieser Größe gibt es das nur zwei weitere Male weltweit und das VLBAI ist das einzige, das absolut misst.
In Zukunft sind Geräte wie das VLBAI an geodätisch interessanten Orten aber auf jeden Fall möglich und in Gedanken haben wir auch eine mobile Version in dieser Größenordnung schon durchgespielt.
Und dann könnten mobile Gravimeter am HITec kalibriert werden?
Tell: Richtig. Dazu würden mit beiden Geräten gleichzeitig Messungen durchgeführt und so genau bestimmt werden, ob es beim transportablen Gerät irgendeine Messabweichung gibt, die korrigiert werden muss.
Was sind momentan die größten Herausforderungen?
Tell: Wir müssen die Störfaktoren noch stärker unter Kontrolle bringen. Im VLBAI messen wir die Position der Atomwolke, indem wir ihren Abstand zu einem Spiegel am unteren Ende der Vakuumröhre bestimmen. Die größte Herausforderung ist momentan, Restvibrationen dieses Spiegels zu verhindern, beziehungsweise sie genau zu messen. Denn Erschütterungen verursachen störende Beschleunigungen und schon einige Nanometer pro Quadratsekunde sind zu viel. Hier entwickeln wir neuartige Beschleunigungssensoren um noch genauere Korrekturen vornehmen zu können. Und wir müssen beweisen, dass wir die angestrebte Genauigkeit zuverlässig erreichen können
Gibt es neben der Installation einer neuen Referenz weitere Einsatzgebiete der Atomfontäne?
Tell: Viele! Im Bereich der Gravimetrie bringen wir natürlich auch unsere eigene Forschung voran. In TerraQ bauen wir beispielsweise selbst gerade ein transportables Atomgravimeter. Darüber hinaus gibt es auch Forschungsprojekte zu fundamentalen Fragen der Physik. Etwa im Sonderforschungsbereich DQ-mat, wo mit dem VLBAI fundamentale Annahmen der Quantenmechanik erforscht werden oder die Beziehungen zwischen Quantenmechanik und Gravitationsphysik. Hier ist noch vieles ungeklärt und auch dafür ist die Atomfontäne ausgelegt.